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Joachim Gauck: "Wir sind nicht gezwungen, unseren Ängsten zu folgen"

Erschütterungen: Was unsere Demokratie von außen und innen bedroht - Eine Lesung mit Bundespräsident a.D. Joachim Gauck. So war der Montagabend (11. November) im Lessingtheater angekündigt. Wer Joachim Gauck kennt, der konnte schon erahnen, dass es keine Lesung im eigentlichen Sinne werden würde, die er der Zuhörerschaft präsentiert. Es war ein spannender Ritt durch die Geschichte, ein unverklärter Blick auf Russland und Putin sowie eine Botschaft, die sich jeder zu Herzen nehmen sollte: „Wir sind nicht gezwungen, unseren Ängsten zu folgen.“

Porträt © Stadt Wolfenbüttel
Lesung Joachim Gauck
Porträt © Stadt Wolfenbüttel
Lesung Joachim Gauck

„Dreimal stand sie mir vor Augen, auf je eigene Weise unsere Demokratie. Dreimal auch gab es eine je eigene Beziehung zu ihr. Als ich jung war und in der Diktatur lebte, war sie das ferne, leuchtende Sehnsuchtsziel. Als ich die Mitte meines Lebens überschritten hatte, eine friedliche Revolution erlebt und mitgestaltet hatte, da war sie der endlich erreichte Ankunftsort, fest gegründet und sicher, gut dort zu wohnen. Nun, am Abend meines Lebens hat sich meine Sicht auf sie noch einmal verändert. Wovor ich einst träumte und was mich danach beheimatete, ist nicht die ewig festgefügte Ordnung, das unumstößlich Gute, wo die Gerechten in stabiler Sicherheit leben. Speziell das Gefühl der Sicherheit hat sich reduziert. Die Demokratie zeigt jetzt deutlich ihre Schwächen. Sie erscheint mir manchmal wie ein Gelände, in dem die Bürger zu lange sorglos in den Tag legten und dabei ignorierten, dass ihnen von außen und innen Gefahren drohten“, führt Joachim Gauck in den Abend ein.

Porträt © Stadt Wolfenbüttel
Lesung Joachim Gauck

Gauck beleuchtet die doppelte Bedrohung, der unsere liberale Demokratie ausgesetzt ist. Um die Bedrohung von außen, seitens des, wie er formuliert imperialen russischen Nachbarn, der das völkerrechtliche Gewaltverbot missachtet. Und um die Bedrohung von innen, seitens autoritärer, populistischer Kräfte, die den Pluralismus und die Rechtsstaatlichkeit in Frage stellen. „Stärker kritisch umzugehen mit denen, die etwas verniedlichen, was als radikale Gefahr vor uns steht, dazu will ich Sie ermutigen“, betont der Bundespräsident a.D., „warum etwa haben wir die Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots in Russland und die territoriale Unterwerfung eines demokratischen Staates in Europa nicht kommen sehen?“

Mit vielen Menschen voll besetzte Zuschauerränge im Lessingtheater. © Stadt Wolfenbüttel
Lesung Joachim Gauck

Er selbst habe eigentlich eine hingewandte Beziehung zum Reich der Russen. Nicht zu den Regierungen dort, aber zu den Menschen. Das sei geprägt von einem unendlichen Mitleid, dass diese Menschen noch niemals in der Geschichte einen funktionierenden demokratischen Staat und einen funktionierenden Rechtsstaat erlebt hätten. Schon gar nicht unter Putin, einem KGB-Offizier, einem „absoluten, bewaffneten Funktionär einer Macht, die niemals legitimiert worden ist“, so Gauck.

Trotzdem gebe es auch in Deutschland Politiker, insbesondere von zwei Parteien, die er nicht schätze („die eine fängt mit A und die andere mit B“), die den Überfall Putins auf die Ukraine auch noch schönreden würden. Sie würden seiner Meinung nach nicht sehen wollen, mit welchen Mitteln Putin seine Macht erhalten will – mit der Angst der Menschen. „Die Furcht der Vielen sichert die Macht der Wenigen“, so der Theologe. Umso wichtiger sei daher diese Erkenntnis, die er dem Publikum mit auf den Weg gab: „Wir sind nicht gezwungen, unseren Ängsten zu folgen“.

Das Fotoalbum

Flickr-Album: Lesung Joachim Gauck im Lessingtheater

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38300 Wolfenbüttel

13.11.2024