Sprungziele
Hauptmenü
Inhalt

Marga Faulstich (1915 bis 1998) - Leichtgewichtige Brillengläser

Schwarzweißbild einer Frau, die gegen das Licht ein rundes Glas anschaut. Im Hintergrund erkennt man ein Diagramm Foto: SCHOTT
Marga Faulstich

Ein gutes Gespür bewiesen die Chefs der Jenaer Schott-Glaswerke, als sie 1935 einen ihrer raren Ausbildungsplätze im physikalisch-chemischen Labor an Marga Faulstich vergaben. Denn die 20-Jährige aus Weimar hatte großes Talent. Sie arbeitete mit bei der Entwicklung der „dünnen Schichten“ bei optischen Gläsern. Die heutigen Technologien der Beschichtung für entspiegelte Brillengläser, Schaufensterscheiben oder Sonnenschutzgläser an Fassaden gehen auf die damaligen Grundlagenforschungen zurück. In nur wenigen Jahren stieg sie von einer Hilfskraft zur Assistentin und dann zur Wissenschaftlerin auf. Ab 1942 studierte sie berufsbegleitend Chemie. Ihr Verlobter war im Zweiten Weltkrieg gefallen, nun konzentrierte sich Marga Faulstich ganz auf den Beruf.

Nach dem Krieg hatten die Alliierten vereinbart, dass Thüringen und damit Jena zur sowjetischen Besatzungszone gehören solle. Doch die Amerikaner wollten das bedeutende technische und wissenschaftliche Knowhow des Glaswerkes für den Westen sichern. So nahmen sie beim Rückzug 41 ausgewählte Spezialisten und Führungskräfte mit in den Westen Deutschlands, so auch Marga Faulstich. Später erinnerte sie sich: "Wir konnten nur das Nötigste von unserer beweglichen Habe in ein paar Kisten packen. Das war alles. Den Rest samt den Möbeln hinterließen wir Flüchtlingen aus Ostpreußen, die in unsere Wohnung einquartiert worden waren. Eines Morgens stand dann ein Lkw der US-Armee vor der Tür. Verwandte, Freunde und Nachbarn verabschiedeten sich unter Tränen, und wir fuhren los. Niemand wusste, was die Zukunft bringen würde." Diese Ereignisse sind als "Zug der 41 Glasmacher" in die Schott-Geschichte eingegangen. Das Jenaer Werk wurde enteignet, in Mainz ein neues Schott Werk gebaut und 1952 eröffnet. Marga Faulstich leitete die Forschungsabteilung für optische Gläser. Damit war sie bei Schott-Glas die erste Frau in einer Führungsposition.

Insgesamt hat sie über 300 Typen optischer Gläser unter anderem für Fernrohre und Mikroskope mitentwickelt. Ihre wichtigste Erfindung machte sie 1973, sechs Jahre vor ihrer Pensionierung: Sie fertigte das leichtgewichtige Brillenglas "SF 64" an, welche besonders für Menschen mit hohen Dioptrien-Zahlen ein Segen ist. Denn durch das neue Material wurden die Sehhilfen wesentlich leichter und filigraner. Jetzt bekam sie internationale Anerkennung und es wurde in den USA als eine der hundert wichtigsten technischen Innovationen des Jahres ausgezeichnet. Die Zeit der so genannten "Bullaugen-Brillen" war vorbei.

Im Jahr 1975 kommentierte Faulstich den Beginn ihrer Tätigkeit: „Es hörte sich so glatt und einfach an und doch war es ein auf und ab, ein Kampf um Probleme und Menschen.“ Doch sie habe „Glück gehabt mit vielen Kollegen, die […] meine Stimme in der Männergesellschaft hörten.“ Ein Artikel in der Mitarbeiterzeitung brachte es 1995 auf den Punkt: „Dies war keine Quotenfrau, sondern eine wirklich ganz Große. Ihre Geistesblitze brachten Schott Millionen DM an Umsatz.“ (Aus „Frauen in Rheinhessen 1816 bis heute“, ISBN 978-3-945751-05-3)

Nach 44 Jahren bei der Firma Schott ging Marga Faulstich 1979 in den Ruhestand. Sie reiste viel, spielte begeistert Tennis und hielt Vorträge auf Glas Kongressen. Mit 82 Jahren ist sie 1998 in Mainz gestorben.