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Historische Entdeckungen und moderne Bauprojekte: Die Bewahrung der welfischen Residenzfestung in Wolfenbüttel

Zwischen Jugendgästehaus und dem Spiegelschloss, wird zurzeit nicht nur der Schulerweiterungsbau 2 für dieses Gymnasium errichtet – es wird mit enormem technischem Aufwand auch eine riesige Verbeugung vor den im Erdreich erhaltenen Resten der einstigen Kurtine der welfischen Residenzfestung gemacht. Nachfolgende Generationen dürfen sich jetzt schon darüber freuen, wie Dieter Kertscher in diesem Bericht schreibt.

Copilot
Das Bild zeigt eine Baustelle mit zwei Baggern, die am Boden arbeiten. Es gibt mehrere große Steine oder Betonblöcke, die in Reihen angeordnet sind, möglicherweise Überreste einer alten Struktur. Im Hintergrund ist ein modernes Gebäude mit großen Fenstern und einem Uhrturm sichtbar. Die Baustelle ist von Bäumen und Vegetation umgeben. © Dieter Kertscher
Bauplatz für die neue Erweiterung des Gymnasiums im Schloss

Viele der Passanten, die täglich vom Parkplatz Alte Spinnerei zum Schulwall gehen, sehen den freigelegten Bauplatz für die neue Erweiterung des Gymnasiums, fragen sich aber bestimmt, was denn mitten in diesem Bauplatz für Einschalungsvorrichtungen zu sehen sind – zunächst mit Kies und Holz vorsichtig ummantelt, seit wenigen Tagen nun wieder frei gelegt. Gerätselt haben viele Bürger bereits, was für ein Hügel direkt neben dem projektierten Gebäude zum Vorschein gekommen ist, nachdem zwei Gärtner (abgeseilt am Haken eines Krans) im vergangenen Jahr die Büsche und Bäume auf diesem „Gebilde“ weggeschnitten hatten. Die Festungsforscher der Aktionsgemeinschaft Altstadt Wolfenbüttel erklären alles und verweisen auf die von der AG Altstadt herausgegebenen Spurensuchen 3 und 10 mit den Themen „Festungsbaukunst in Wolfenbüttel“ und „Der Wunderliche Heinz und seine Nachbarn“ sowie einen von Heiner Kertscher und Dieter Haupt erstellten Flyer. In den Spurensuche-Magazinen haben Manfred Frohse und Dieter Kertscher/Georg Maibaum/Peter Weselmann das niedergeschrieben, was sie zu diesem Teil der Festungswerke in Wolfenbüttel in Erfahrung bringen konnten.

Ein „imposantes“ neun Meter hohes Bauwerk aus Festungszeiten

Im Jahr 2009 haben sich Festungsforscher, Archäologen, Denkmalpfleger den Gewölbebogen hinter dem damaligen Biologie-Trakt angesehen. © Dieter Kertscher (2009)
Im Jahr 2009 haben sich Festungsforscher, Archäologen, Denkmalpfleger den Gewölbebogen hinter dem damaligen Biologie-Trakt angesehen.

„Ein imposantes Gewölbe“ wird dieses Stück der früheren Residenzfestung von den ehrenamtlich seit drei Jahrzehnten unermüdlich forschenden und grabenden Mitgliedern der AG Altstadt genannt. Insgesamt rund neun Meter hoch mit Erde geschüttet wird ein 5,5 Meter hoher Gewölbebogen überspannt, der zur Stadtseite offen ist. Dieses Bauwerk ist Bestandteil des Walles, der Mauer zwischen den beiden Bastionen „Lindenberg“ mitten im Seeliger Park und dem „Krokodilsberg“ dort, wo sich heute der Parkplatz Alte Spinnerei befindet. Mal wird es Gewölbebogen, mal Kasematte genannt. Als Kasematten wurden bekanntlich Teile von Festungen aus mächtigem Mauerwerk mit bombensicheren Gewölben zur Unterbringung ruhender Mannschaften und von Materialien aller Art, also auch Kriegsgerät, Kanonen, Munition, Proviant bezeichnet.

Nach 1570 ist dieses Gewölbe errichtet worden

Das Bild zeigt eine Baustelle im Freien, umgeben von Bäumen und Vegetation. Im Vordergrund ist ein großer Bagger der Marke Kobelco zu sehen, der an einem Bauprojekt arbeitet. Der Bagger hat eine blaue Farbe und ist dabei, Erde oder Material zu bewegen. Im Hintergrund sind Bauzäune und Netze sichtbar, die möglicherweise als Schutzvorrichtungen dienen. Es gibt auch Beton- oder Steinstrukturen sowie einige lose Materialien auf dem Boden verteilt. © Gymnasium im Schloss
In Maschendraht eingepackt und gesichert worden ist der Gewölbebogen vor Beginn der momentan laufenden Erd- und Rammarbeiten zum Neubau an dieser Stelle.

Im Schutze von sehr viel Grün ist dieses Stück der ehemaligen Befestigungsanlage so gut wie keinem der Fußgänger dort aufgefallen. Bäume, Sträucher und Schlingpflanzen haben das nach 1570 unter Herzog Julius angelegte Mauerwerk „umschlungen“, ja sogar ummantelt, für die Blicke der Außenwelt unsichtbar werden lassen. Manfred Frohse als der fleißigste aller Festungsforscher in Wolfenbüttel hat in Erfahrung gebracht, dass an diesem „Newen langen Gewölbe“ wohl 1572 und 1573 gearbeitet worden. Fertiggestellt worden ist dieser Teil der Festung ganz offenbar 1578.

Zweigeschossig angelegt – ein Luxus im Festungsbau

Das Bild zeigt eine archäologische Ausgrabungsstätte vor einem modernen Gebäude. Es gibt mehrere teilweise im Boden vergrabene Steinsäulen, und eine Person arbeitet mit einem Werkzeug in der Nähe der Säulen. An der Ausgrabungsstätte ist auch ein kleiner Bagger vorhanden. Im Hintergrund befindet sich eine große Struktur, die mit Netzen bedeckt und von Vegetation überwuchert ist. Das moderne Gebäude hat mehrere sichtbare Fenster und Türen. © Dieter Kertscher
Heute sehen wir, wie die während der Gründungsphase eingekieste und eingeschalte Mauerreste wieder ans Tageslicht kommen

Wir sehen heute noch, wenn wir vom Spiegel-Schloss aus in diesen Gewölbebogen schauen, dass dieser zweigeschossig angelegt worden ist. „Ein Luxus im Festungsbau, wenn Verbindungsgänge von einer zu anderen Bastion diesen Vorteil boten“ hört man die Festungsexperten jubeln. Rechts und links in diesem (einem von 15 derartiger Bögen) sind gemauerte Durchgänge zu erblicken, im Erd- und im Obergeschoss. Entsprechende Öffnungen im Mauerwerk für die Deckenbalken sind ebenfalls gut auszumachen. Seinerzeit konnten also zum Beispiel Soldaten gleichzeitig von hier nach dort und Kanonen in die entgegengesetzte Richtung geschickt beziehungsweise transportiert werden – ein großer Luxus für die sich verteidigende Garnison.

Ein Kartograf namens H. A. Biedermann hat den Festungsgrundriss gezeichnet

Das Bild zeigt einen Grundriss mit mehreren nummerierten Räumen. Die Räume sind von links nach rechts mit den Nummern 31, 30, 29 und 28 beschriftet. Raum Nummer 30 ist in einem kräftigen Rot hervorgehoben, während Raum Nummer 29 teilweise mit roten Streifen schattiert ist.
Festungsforscher Manfred Frohse hat mittels des Biedermann-Plans von 1750 genau dargestellt, wo der erhaltene Gewölbebogen und die in Zukunft durch Glas erkennbaren Mauerreste zu bestaunen sein werden.

Wir wissen heute dank der Kartier Arbeiten eines Kartografen H. A. Biedermann ziemlich genau, wie es innerhalb der Wolfenbütteler Festungswerke ausgesehen haben könnte. Manfred Frohse erläutert dazu in seiner Spurensuche sehr anschaulich. Der Kasemattenraum Nummer 30 ist genau der, der bis in unsere Tage erhalten geblieben ist. Die Mauern im Erdreich zum Kasemattenraum Nummer 29 werden zurzeit mit so viel Vorsicht behandelt, während der Bauphase mit Kies und Brettern geschützt, um diese der Nachwelt durch Glasscheiben im Schulerweiterungstrakt zeigen zu können. Eine nebenstehend zu sehende Vergrößerung aus dem Biedermann-Plan zeigt exakt, um welches Stück des Festungswalles es sich hier handelt. Zwischen zwei Kasematten/Gewölbebogen waren schmalere sogenannte Stollengewölbe von drei bis vier Metern eingeschoben worden, erklärt Manfred Frohse.

Ein Merian-Stich von 1654 zeigt die Ansicht Wolfenbüttels

Das Bild ist eine alte Illustration einer befestigten Stadt mit beschrifteten Abschnitten. Die Beschriftungen im Bild lauten "Das Mühlthor," "Das Fürstl. Schloß," und "Das Zeughaus." Die Befestigungen sind in roten und gelben Farben hervorgehoben, was auf verschiedene Abschnitte der Mauern und Bastionen hinweist, die die Stadt umgeben. Im Hintergrund ist eine Landschaft mit Bäumen und Hügeln zu sehen. Repro und koleriert Dieter Kertscher
Dank Merian kennen die Ansicht der welfischen Residenz Wolfenbüttel Mitte des 17. Jahrhunderts. Im mittig zu sehenden Mauerabschnitt liegt der zurzeit mit viel Aufwand geschützte Gewölbebogen.

Wer mehr zu den Erforschungen von Manfred Frohse erfahren möchte, dem sei dessen Spurensuche dringend empfohlen. „Einiges wissen wir, viel mehr aber ist noch unbekannt“ beschreibt der rührige Festungsforscher den Stand seiner Arbeiten. Wenige Drucke sind im Buchhandel oder bei der AG Altstadt noch erhältlich. Dass nach außen diese Gewölbebögen mit Erdreich gegen den feindlichen Beschuss geschützt waren, ist unbestritten. Ob diese „Kurtine“ allerdings auch mit Steinen (aus Elm, Asse oder Ösel) zusätzlich geschützt waren, das wir nicht. Das verrät auch die 1654 von Merian angefertigte Riss von Wolfenbüttel nicht. Dank dieser Merian-Arbeit (Conrad Buno aus Wolfenbüttel hat ihm die Vorlage für seinen Stich geliefert) wissen wir heutzutage, wie gewaltig und wie repräsentativ die welfische Residenzfestung von den in Wolfenbüttel regierenden Herzögen angelegt worden ist.

Respekt der Stadtverwaltung, die diese Mauerreste um jeden Preis erhalten will

Die Energie und Geduld, die die Verantwortlichen der Stadtverwaltung für die Erhaltung dieses „Zeugen“ der früheren welfische Residenzfestung aufbringen, sind bewundernswert. Kommende Generationen werden im Neubau durch Glasscheiben hindurch die Reste der Grundmauern dieser Kasematten hier, der 30. von allen, die Biedermann kartiert hat, betrachten können. In Wolfenbüttel ist dies eine weitere begrüßenswerte „tiefe Verbeugung“ vor der früheren Residenzfestung, Dank hier schon einmal an die Stadtverwaltung.

Kontakt

Aktionsgemeinschaft Altstadt e. V.

Vorsitzender Dieter Kertscher

Kleiner Zimmerhof 4
38300 Wolfenbüttel

12.05.2025